Als „sanfter Hüne" wurde er in der Presse gern tituliert, um den scheinbaren Gegensatz zwischen seiner riesenhaften Statur und seiner sensiblen Ausdruckskunst auf den Punkt zu bringen. Martti Talvela ist als Sarastro, König Philipp und Boris Godunow vielen Opernfreunden bis heute unvergesslich.
Geboren wurde der finnische Bassist m Jahre 1935 in einem Dorf in Ostkarelien, als achtes von
zehn Kindern einer Bauernfamilie. Vom musikbegeisterten Vater erhielt er ersten Gesangsunterricht, schlug aber dennoch den „vernünftigen" Beruf eines Volksschullehrers ein. Die professionelle Sängerkarriere war nicht geplant und wartete mit einigen Hürden auf.
„Das war eigentlich Zufall, denn Gesang war mein Hobby und ich gewann einen Liederwettbewerb in Finnland 1959 und infolge dessen war ich sofort sehr berühmt, in der Presse überall mit großen Bildern und so weiter. Aber trotzdem ich ging zu der Oper in Helsinki und fragte, ob ich da anfangen kann und die haben gesagt: Nein, sie sind zu groß für uns, wir haben keine Stiefel für sie.”
Da der junge Sänger offenbar nicht die ,,Idealmaße" für das Opernhaus in Helsinki besaß, ging er ins Nachbarland Schweden. Dort erhielt er prompt ein Engagement an der Königlichen Oper Stockholm. Hier wurde Wagner-Enkel Wieland auf ihn aufmerksam und holte ihn 1962 an die
Deutsche Oper Berlin sowie nach Bayreuth, wo Talvela fortan als Titurel, Daland, König Marke, Fasolt und Hunding zu erleben war. Vom „Grünen Hügel" aus trug ihn seine satte, samtig strömende Stimme direkt auf die großen Opernbühnen der Welt zwischen Mailand und Moskau,
Salzburg und New York.
Dennoch schien Karriere nie die oberste Priorität in seinem Leben zu besitzen. Bei den großen Festspielen machte er sich bald rar, um die finnischen Sommer bei seiner Familie zu genießen. Sein ökologisch bewirtschafteter Bauernhof samt Schafzucht fesselte ihn an die Heimat, aber auch sein energisches Engagement für ihre kulturelle Entwicklung. Der erstaunliche Aufschwung, den die Opernkunst in Finnland damals erlebte, ist wesentlich Martti Talvela zu verdanken, der 1972 die Leitung der Festspiele in Savonlinna übernahm. Allem neuen gegenüber aufgeschlossen, sang er 1978 beim Finnland Festival die Hauptrolle in der
Uraufführung der Oper „Die letzten Versuchungen" von Joonas Kokkonen, die mittlerweile zu den Klassikern des modernen Musiktheaters gehört. .
Als sich Martti Talvela in den 80er Jahren immer mehr dem Liedgesang zuwandte, erregte dies angesichts seiner großformatigen Stimme und Statur hier und da Verwunderung.
Regisseur Günther Rennert nannte ihn während der Proben zu Boris Godunow oft scherzhaft die „Mammut-Mimose". Denn hinter der hünenhaften Erscheinung eines Mannes, der in seiner Jugend Meister im Schwergewichtsboxen gewesen war, verbarg sich eine höchst empfindsame Seele, die ihn auf der Opernbühne zu seinen subtilen Rollenporträts befähigte, ihn aber auch zum idealen Liedinterpreten machte. Kurz vor seinem Tod nahm er mit dem Pianisten Ralf Gothoni Schuberts Winterreise auf.
In den 80er Jahren reduzierte Martti Talvela seine Auftritte stark, bereitete sich aber auf die Leitung der Finnischen Nationaloper vor, die er 1992 übernehmen sollte. Doch schon am 22. Juli 1989 erlag er auf seinem Gut in Juva einem Herzinfarkt - am Abend der Hochzeit seiner jüngsten Tochter brach er beim Tanz zusammen.